Eigentlich will ich Mark im Coaching unterstützen, die Abteilung, die er seit kurzem leitet, neu aufzubauen. Vor drei Monaten hat er allerdings zusätzlich noch einen anderen Bereich mitübernommen, da ein Kollege schwer erkrankt ist. Das ist kaum zu schaffen. Und immer wieder sprechen wir deshalb zurzeit auch über private Konflikte. Schon in den Pfingstferien gab es immer wieder Streit, weil Mark ständig telefonierte oder Emails schrieb. Susanne ist sauer, dass er ständig gereizt ist und am Familienleben nicht mehr teilnimmt. Sie wirft Mark vor, dass er die zusätzliche Vertretung nicht abgelehnt hat. Mark zuckt mit den Schultern: „Irgendwie hat sie ja recht – ich schaffe die weitere Aufgabe eigentlich gar nicht. Und wenn ich heimkomme, ist mein Kopf so voll – ich habe zu nichts mehr Lust.“
Grenzen setzen – das heißt auch: Für sich selbst sorgen!
Warum sagen wir nicht „Nein“, wenn andere etwas von uns wollen, auch wenn wir wissen, dass wir gar keine Energie mehr haben? Diese Frage begegnet mir im Coaching immer wieder.
Der Grund dafür liegt oft in unserer Vergangenheit: Wir haben eine Menge innerer Stimmen im Kopf, die uns sagen, wie wir zu funktionieren haben.
„Ins Kino gehen wir erst, wenn du deine Hausaufgaben fertig gemacht hast!“, „Wenn du dich mehr angestrengt hättest, dann könnten wir auch stolz auf dich sein.“ „So wie dein Zimmer aussieht, da wird aus dir nie etwas!“ – Wer solche Sätze aus seiner Kindheit kennt, hat es oft gelernt, die Erwartungen anderer über die eigenen zu stellen. Und dabei verlernt, auf die eigenen Grenzen zu achten.
Die Angst vor Ablehnung oder Konflikten, Schuldgefühle und der Drang nach Perfektion sind häufig die Ursache dafür, dass es uns schwerfällt, uns über unsere eigenen Bedürfnisse klar zu werden und für sie einzustehen.
Das Paradox dabei: Wenn wir immer wieder über unsere Kraft gehen, haben wir irgendwann keine mehr – auch nicht für andere. Klare Grenzen sorgen dafür, dass es uns gut geht, dass wir uns besser erholen – und dann auch wieder mehr schaffen.
So fällt es leichter, für eigenen Bedürfnisse einzustehen:
- Reflektieren Sie regelmäßig, was Sie gerade brauchen und was Ihnen wichtig ist. So erkennen Sie Ihre Bedürfnisse Schritt für Schritt.
- Üben Sie es, Ihre Bedürfnisse und Grenzen klar zu formulieren – geben Sie Ihrem Gegenüber klare Botschaften.
- Vielleicht kennen tappen Sie auch immer wieder in die Falle, schnell Hilfe anzubieten? Gewöhnen Sie es sich an, bei unerwarteten Anfragen um eine Bedenkzeit zu bitten. Überlegen Sie dann in Ruhe: Will ich das überhaupt? Und was bedeutet das für mich und meine anderen Aufgaben und Pläne?
- Wenn Sie merken, gerade ist „Land unter“, sagen Sie auch mal Nein. Machen Sie sich bewusst, das ist kein Egoismus, sondern wichtige Selbstfürsorge. Nehmen Sie Pausen und Freizeit genauso ernst wie alle Ihre anderen Termine, um immer wieder neue Energie zu tanken.
- Üben Sie, auch mal selbst um Hilfe zu bitten. Gerade Menschen, die oft für andere da sind, fällt das oft schwer.
Mit Mark bereite ich ein Gespräch mit seinem Vorgesetzten vor. Er wird ihm mitteilen, dass seine neue Aufgabe all seine Aufmerksamkeit braucht und er die zusätzliche Vertretung nicht auf Dauer übernehmen kann. Gemeinsam will er mit ihm überlegen, welche Alternativen es gibt, so dass er in spätestens zwei Wochen wieder seine eigentliche Arbeit machen kann.
„Dann fahre ich mit einem guten Gefühl in den Sommerurlaub und kann mich wirklich erholen. Und mein Versprechen an Susanne, den Rechner zu Hause zu lassen, das hat oberste Priorität. Nach den letzten Wochen haben wir beide eine tolle Zeit miteinander verdient!“