Abschied und Neuanfang

So gelingt erfolgreiche Unternehmensnachfolge

Mit ernstem Gesicht nimmt Helen Platz in meinem Büro: „Am Wochenende hatte Manfred, mein Vater, seinen 63. Geburtstag. Aber statt einem ausgelassenen Familienfest gab es wieder zwei Tage lang endlose Diskussionen mit der ganzen Familie. Und das geht schon seit Wochen so. Ja – er will sich endlich aus dem Familienunternehmen zurückziehen und ja - es bleibt dabei, ich soll übernehmen. Aber sobald es konkreter wird, rudert er zurück. Ich sitze da in Warteposition und werde im Unternehmen langsam unglaubwürdig. Ich weiß: „Ich bin bereit, ich habe Ideen und will endlich loslegen. Aber langsam zweifele ich am Vertrauen meines Vaters in mich.“

In Helens Familie war es schon immer klar: Irgendwann übernimmt sie das Familienunternehmen. Während ihr Bruder nach der Schule jeden Tag seine Aquarien pflegte und danach im örtlichen Tierheim aushalf – er ist inzwischen Meeresbiologe an der Nordsee – jobbte Helen schon in der Schulzeit im Unternehmen. In den Semesterferien ihres BWL-Studiums arbeitete sie in den verschiedenen Abteilungen mit und sammelte nach dem Studium Berufserfahrung in anderen Unternehmen. Mit 60 hatte ihr Vater beschlossen, das Thema Nachfolge anzugehen. Jetzt sind drei Jahre vergangen, die sich für Helen wie Kaugummi ziehen. Die Ungewissheit und die Tatsache, keine klare Perspektive zu haben, wie es mit ihr weitergehen soll, haben Helen zu mir geführt. Seit ein paar Monaten begleite ich sie als Businesscoach, um einen konkreten, ausführlichen Fahrplan auszuarbeiten, der mit allen abgestimmt ist. Außerdem will ich sie bei all dem Hin und Her emotional  stärken.

Unternehmensnachfolge – ein sehr aktuelles Thema

Ein Drittel aller UnternehmerInnen in Deutschland sind heute 60 Jahre oder älter. 2023 planen 190.000 Unternehmer, ihre Unternehmensnachfolge zu regeln. Eine der bedeutendsten Herausforderungen ist dabei die Suche nach einer geeigneten Nachfolgerin bzw. einem Nachfolger.

Im Durchschnitt wird mit der Planung erst mit 64 Jahren begonnen – das ist spät, häufig zu spät. Und wenn die Suche scheitert, kommt es immer wieder zu ungewollten Unternehmensstilllegungen.

53% der UnternehmerInnen wünschen sich eine Nachfolge aus der Familie. Neben unternehmerischen Lösungen geht es dabei immer auch um persönliche Themen. Das kann die die Familiengeschichte sein oder das Erbe, vielleicht gibt es private oder berufliche Konflikte. Manchmal sind auch einige Kinder sind fachlich und persönlich geeignet, andere nicht, diese fühlen sich aber zurückgesetzt.  Und überall steckt eine Menge Streitpotential.

Andere Unternehmen planen eine externe Übergabe bzw. einen Unternehmensverkauf. Jede angedachte Lösung muss sorgfältig strategisch geplant werden.

Eine erfolgreiche Unternehmensnachfolge erfordert eine umfassende Betrachtung

Berücksichtigt werden müssen unternehmerische und persönliche oder familiäre Aspekte: Dem einen fällt es schwer, Abschied zu nehmen und loszulassen, während der andere schon Veränderungspläne hat und eigene Ideen umsetzen will – und die MitarbeiterInnen wollen wissen, wie es für sie weitergeht. Bei einer Nachfolge innerhalb der Familie ist das außerdem nicht nur ein rein geschäftlicher Übergang, sondern auch ein Prozess, der die gesamte Familie betrifft.

Inhaber, Ehepartner, Geschwister und die potenzielle Nachfolgerin sind als Familie persönlich miteinander verbunden und möchten das auch bleiben können. Sie haben gemeinsam Höhen und Tiefen und auch schon die eine oder andere Auseinandersetzung erlebt.

Außerdem wird in jeder Familie anders kommuniziert. Manchmal klappt das sehr gut, manchmal gibt es eine gewisse Sprachlosigkeit bei diesen Themen. Und häufig auch falsch verstandener Rücksicht, weil man einander nicht wehtun möchte – das alles muss berücksichtigt werden.

Wer hat welche Ziele? Und vor allem: Was ist für das Unternehmen wichtig?

Ein Businesscoaching hilft dabei, eine erfolgreiche Unternehmensnachfolge zu planen und umzusetzen. Ich arbeite gerne mit allen Beteiligten. Dabei gibt es zuerst Einzelgesprächen und dann gemeinsame Termine. So werden die Bedürfnisse und Wünsche aller Beteiligten identifiziert, Emotionen wahrgenommen und vor allem wird immer wieder in den Mittelpunkt gerückt, was für den Bestand des Unternehmens und die Mitarbeiter von Bedeutung ist.

Abschied und Neuanfang

Helens Vater ist mehr als drei Jahrzehnte täglich in die Firma gefahren. Da gab es Erfolge und Tiefschläge. Auszubildende, die er eingestellt hat, haben im Unternehmen Karriere gemacht. Manche haben inzwischen erwachsene Kinder, die heute auch Unternehmen tätig sind.  Mitarbeiter, mit denen er jahrelang zusammenarbeitete, hat er in den Ruhestand verabschiedet. Mit Geschäftspartnern sind Freundschaften entstanden. Der Gedanke, das alles aufzugeben, macht ihn traurig. Manfred weiß, dass er aufhören sollte und dennoch fällt es ihm schwer. 

Helen hat im Studium und bei ihren letzten Arbeitgebern Verantwortung übernommen, viel gelernt und viel gesehen: Sie ist voller Ideen und Visionen, die sie jetzt endlich umsetzen möchte. Sie möchte im Familienbetrieb gestalten und vieles verändern.

Eine schwierige Situation. Wir diskutieren darüber, ob es einen behutsamen Übergang geben soll. Das beinhaltet viele Chancen:  Manfred kann sich schrittweise zurückziehen. Und die Transformation kann sorgfältig geplant und kommuniziert werden. Wichtige unternehmerische Entscheidungen können so anfangs gemeinsam von Vater und Tochter mitgeteilt werden. So sind Kontinuität und Zusammenhalt gewährleistet und das Vertrauen der Mitarbeiter in die neue Führung wird gestärkt.

Das Bestehende würdigen und das Neue willkommen heißen

Auch, wenn so einiges anders wird: Die Basis für eine erfolgreiche Nachfolge liegt darin, das bestehende System zu würdigen und weiterzuentwickeln. Traditionen und bewährte Strukturen sollten geschätzt und fortgeführt werden. Das gibt Helen die Chance und den Raum, als Nachfolgerin frischen Ideen und innovative Ansätze umzusetzen, gleichzeitig sind ihre Ziele glaubwürdig, sie bauen auf die bisher geleistete Arbeit auf und erkennen diese an. Ein etabliertes Unternehmen mit stabilen Strukturen ist nun mal kein Startup. Ein zu schneller Wandel kann Mitarbeiter, Geschäftspartner und die Kunden überfordern. Wenn eine Veränderung erfolgreich sein soll, müssen alle mitgenommen werden.  

Der endgültige Rollenwechsel zwischen Manfred und Helen braucht schließlich einen festen Termin. Diese Zäsur macht für alle Beteiligten einen klaren Übergang sichtbar. Es ist wichtig, dass das Ende einer Ära mit vielen Erfolgen und der Beginn einer neuen Zeit mit neuen Plänen gemeinsam begangen werden.

Zukunftspläne für alle Beteiligten

Manfred hat für sich privat, aber auch im Unternehmen, Aufgaben gefunden, die er mit Leidenschaft weiterhin erfüllen kann. Er wird künftig Betriebsführungen übernehmen oder zu den Festen erscheinen, um die Jubilare zu ehren. Außerdem möchte er sich Zeit nehmen für die Unternehmensgeschichte: „Ich vergrabe mich erst mal im Archiv. Da gibt’s so Vieles: Alte Dokumente, Berge von Fotos – vielleicht erfülle ich mir einen alten Kindheitstraum und schreibe ein Buch: Die Chronik unseres Familienunternehmens.“

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